Walk: Eine Ausstellung aus promenadologischer Perspektive und ihre Weiterführung quer durch Kreuzberg

Im Bethanien ist gerade eine ganz interessante Ausstellung mit dem Titel „Walk. Spazierengehen als Kunstform“. Darin setzen sich verschiedene KünsterInnen damit auseinander, was beim Spaziergang so alles passieren kann, besonders gedanklich. Als olle alte Sonntagsspaziergängerin fand ich das schon sehr interessant! Die meisten Exponate sind Gefilmtes. Da läuft z.B. ein Honecker-Double mit Kamera in der Brille durch Berlin und filmt Reaktionen. (Wobei diese Idee besser ist als ihre Umsetzung, der Typ latscht nur rum und sagt „Freundschaft“ zu irgendwelchen verwirrten PassantInnen.) Oder eine Gruppe filmt Eindrücke auf dem ehemaligen Mauerstreifen. Eine andere Künstlerin steht redend vor isländischen Landschaften und erzählt ausschweifend lange Geschichten, ohne dabei so richtig auf den Punkt zu kommen.
 
Einige Stücke waren besonders eindrücklich. So z.B. ein Projekt, bei dem Menschen mit Audio-Guide über ein ehemaliges KZ-Gelände in Österreich gehen können und sich dabei Erzählungen von Überlebenden anhören können. Dabei laufen sie durch ein völlig „normales“ Wohngebiet, denn das Gelände wurde nicht in seiner damaligen Form erhalten.
 
Ja, und dann gab es noch ein Kapitel über die in der Monumentenstraße lebenden Elfen. Was mich besonders interessiert hat, weil ich zwei Jahre lang in der Monumentenstraße gewohnt habe und heute aus einer speziellen Karte entnehmen konnte, dass sowohl im benachbarten Hinterhof als auch am Grab der Gebrüder Grimm Elfen leben. Wer das behauptet? Ein Typ, der „Elfenmedium“ ist und offenbar mal Straßenführungen zu dem Thema angeboten hat, die so überrannt waren, dass er sie einstellen musste (hä?). Es gab nicht nur die Karte und Geschichtchen zu lesen, sondern auch einen Fernsehbeitrag darüber, in dem die Schöneberger Ex-Bezirksbürgermeisterin behauptet, Elfen kämen sicher gerne in den Bezirk, weil er so multikulti sei. Das „Elfenmedium“ ist auch zu sehen: er führt einen Ausflipper vor, den er manchmal bekomme, wenn er Elfen spüre, dreht sich, irgendwie summend, wild im Kreis. Danach, sagt er, fühle man sich ganz gut und hätte keine (jetzt kommt es) bleibenden Schäden, er zumindest nicht. 😉
 
Eine Dame hat ein Walk Book mit Audio-Teil erstellt. Man konnte zuhören, dazu im Buch bestimmte Bilder betrachten und hätte eigentlich zwischendurch auch selbst richtig spazierengehen sollen (dieser Teil fiel im Museum natürlich flach). Sie spaziert z.B. durch ein Feld und findet einen einzelnen Damenschuh, dessen Foto im Buch ist. Dann stellt sie Überlegungen darüber an, wie der dorthin kommt…
 
Einer ist mit einer Kamera zweieinhalb Stunden lang den Zaun um Heiligendamm entlang gegangen und hat ihn gefilmt, „Spaziergang am Rande der Demokratie“. Da passiert im Prinzip nichts, aber der Zaun wird ausführlich dokumentiert und sagt eine Menge aus, genauso wie die Touris, die dort entlang ihre Sommerradtour machen.
 
Lange Rede, kurzer Sinn, man kann dort vermutlich Tage verbringen.
 
Das Beste war, dass der Tag mit meinem Besuch dann auch ganz im Zeichen der Ausstellung weiterging: Nach gründlichem Gucken kamen wir raus und ließen uns dann noch von ca. 15.30 Uhr bis Mitternacht ungeplant durch Kreuzberg treiben. Was geschah?
 
Wir aßen Gössies in der Bergmannstraße und rätselten über einen exzentrischen Tortenhaufen in der Vitrine, um dann doch einen ganz anderen Kuchen zu probieren. Dann stieß noch ein Dritter dazu und schlug vor, Richtung Riemers Hofgarten zu laufen, so für die Architektin unter uns. Wir kamen bis zur Ecke der Bergmannstraße, wo seit inzwischen auch schon Jahren eine besondere Art des Geschenke selber Machens möglich ist (Geheimnis!), und schon sind wir dort für zwei oder drei Stunden kreativ geworden. Dann war es schon fast dunkel. Wir haben den Kreuzberg erklommen und danach im Regen gleich noch das Viktoriaquartier durchmessen, um schließlich Riemers Hofgarten anzupeilen und festzustellen, dass da ein Haufen Kameras rumhängt. Gleich dahinter standen wir schon vor dem Kino und landeten kurzentschlossen in „Du bist nicht allein“. Man könnte festhalten: Spannender als manches im Museum – was die KünstlerInnen von uns LebenskünstlerInnen unterscheidet, sind in diesem Fall vor allem Kamera und Mikro. Das Undokumentierte des Spaziergangs…