Offener Brief an Jan Kleinert, Chefredakteur des Linux-Magazins

(Hier ein kleiner Ironie-Disclaimer…)

Lieber Jan Kleinert,

is‘ schon toll, am Samstag aufzustehen, zu denken, hach, jetzt endlich bei einem Käffchen im neuen Linux-Magazin schmökern, das seit Tagen hier liegt, – und dann das: Deine Aufforderung, in meine Kuschelnische zu gehen und lieber die verbessern zu wollen als die Gesellschaft. Denn wenn mein Anliegen von gesellschaftlicher Relevanz wäre und ich nur fähig genug wäre, dann gäbe es ja gar keine strukturellen Ungleichheiten, keine ungleiche Machtverteilung, keine Ungleichbehandlungen, keine Diskriminierung. Hast Du es gut, dass Du daran glauben kannst – muss schön sein!

Dein Text strotzt so von *nixgerafft*, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll. Du führst in den paar Absätzen fast jedes Argumentationsmuster vor, dass privilegierte Menschen oft nutzen, wenn ihre Privilegien angegriffen, in Frage gestellt oder auch nur mal explizit benannt werden.

linuxmagazinKurz der Hintergrund: Die Ausgabe 10/12 der Linux-Magazins richtete sich, dem Cover nach zu urteilen an „Jungs“. Der Aufmacher: „Aufpasssen Jungs! Android, Embedded, Rootkits, IPv6 – auf Linux lauern neue Gefahren“. Diverse Twitternde fanden die klare Ansprache nur männlicher Leser unmöglich – so auch ich. Der Twitter-Account Deines Blättchens ist allerdings offenbar nicht für die Kommunikation mit den Lesenden gedacht, sondern lediglich für das Verlinken von Fachartikeln, so dass da nichts zurückkam.

Lieber Jan, Dein Editorial der Ausgabe 11/12 lässt zumindest vermuten, dass die Kritik am letzten Cover Dir vielleicht mal irgendwie zu Ohren kam. Wäre Dir ein Zacken aus der Krone gefallen, wenn Du diese Kritik mal direkt aufgegriffen und damit auch transparent gemacht hättest? Oder wenn Du die Kritik gar angenommen hättest, etwa mit einem „Ja, stimmt, ich gehe von ca. 15 Prozent Frauen in der Leserschaft aus, und von anderen Menschen, die sich nicht mit der Anrufung als „Jungs“ identifizieren. Deshalb war es unreflektiert, auf dem Cover nur „Jungs“ anzusprechen…“ Hier dann vielleicht ein Verbesserungsvorschlag in Bezug auf geschlechtergerechtere Sprache in den künftigen Ausgaben oder Artikel zum Thema im Linux-Magazin oder oder oder…

Aber nö, Du pöbelst einfach mal ne Runde, so ganz ohne Kontext. Dein Heftchen steht ja auch nicht in einem gesellschaftlichen Kontext – Technik ist ja neutral, ne? NICHT. Lass mich kurz aus Deinem Editorial zitieren (auch für diejenigen, die ihr Geld nicht für ein Linux-Magazin-Abo verschwenden):

Erfolg bei Frauen und Desktops

Danke für den zweideutigen Titel, der so schön auf den Punkt bringt, wie der Diskurs läuft: Wenn Menschen/Frauen* die Klappe aufmachen, denen man nicht zuhören will, weil man dann womöglich seinen Thron verlassen müsste, dann sind die in der Regel gewählten Strategien Ironie, nicht ernst nehmen und die Erinnerung daran, dass Frauen eigentlich Sexualpartnerinnen sind. Schön auch, dass Du mit „Erfolg bei Frauen“ auch gleich nochmal festschreibst: Das Linux-Magazin richtet sich in erster Linie an heterosexuelle Männer oder „Jungs“. Diese „Frauen“ sind halt so ein Dings, bei dem Du und die, die wie Du denken, Erfolg haben wollt – und mehr nicht.

Alle wünschen sich den Erfolg. Den zum Beispiel, mehr Frauen in IT-Berufe zu bringen – momentan liegt die Quote bei mageren 15 Prozent. Und da sich Erfolge meist nicht von allein einstellen, muss der Engagierte nachhelfen: Die Non-Profit-Initiative Rails Girls beispielsweise versucht weilweit mit kostenlosen Workshops Frauen fürs Programmieren zu begeistern. Vorkenntnisse braucht es nicht, ein Laptop und zwei X-Chromosomen reichen.
[…]
Alle sehnen den Erfolg herbei – und sind geknickt, wenn er trotz Mühe ausbleibt. der Begriff ,Erfolg‘ bezeichnet das Erreichen selbst gesetzter Ziele. Stellt sich ein Erfolg nicht ein, deutet das gemeinhin auf einen Mangel an Umsetzungskompetenz hin. An dieser recht Führungskräfte-mäßigen Lehrmeinung jedoch müssen Zweifel erlaubt sein. Vielleicht liegts ja bloß am ,Ziel‘, zumal es ,selbst gesetzt‘ ist?!

Erfolg und selbst gesteckte, unerreichte Ziele von Individuen – darum geht es also in Deinem Verständnis des Problems™. Gesellschaftliche Strukturen, verfestigte soziale Dynamiken, die eben kein individueller Zufall sind, und Machtverhältnisse gibt es in Deiner Welt offenbar nicht. Wenn Menschen sich nur „relevante“ (s.u.), aber bitte persönliche Ziele stecken würden, dann müssten sie auch nicht dauernd rumpiensen. Den Satz mit der Umsetzungskompetenz streichen wir am besten mal aus dem Protokoll.

Schön, Jan, dass Du in Deinem Leben offenbar jede Hürde aus eigener Kraft überwinden konntest. Schön, dass Du Deine persönlichen Ziele so erfolgreich erreichst und jetzt von Deinem Chefredakteurssessel aus auf die Aktivist*innen herabschauen kannst, die politisch, sozial, technisch oder auf anderen selbst gewählten Wegen für eine Veränderung der Welt kämpfen. Sich mal öffentlich über die Rails Girls lustig machen, die ja doch nichts bewegten, weil ihr Ziel unwichtig sei  – das ist doch echt das allerletzte!!!

Beispiel IT-Berufe: Warum ist eine hohe Frauenquote ein erstrebenswertes Ziel und eine niedrige ein Misserfolg? Weniger Frauen als Männer streben in Computerberufe – ja und? Sind nicht eher Förderprogramme wie Rails Girls eine Form von Diskriminierung, die meinen, Frauen Informatikberufe erklären zu müssen?! Ganz so als es eine geschlechterspezifische Wahrnehmungsstörung, die einer Bevölkerungshälfte den Blick auf die Schönheit des Programmierer- oder Admin-Berufs verwehrt. Frauen sind keine Schimpansen, die sich per se mit Ruby ein bisschen schwer tun und darum spezieller Betreuung bedürfen. Viele haben schlicht keinen Bock. […]

Danke, dass Du Frauen den Menschenstatus so ausdrücklich zuerkennst. In dem Moment, wo Du beinahe sagst, Frauen hätten keine genetischen Veranlagungen, sich weniger oft/lange mit Computern zu beschäftigen, hatte ich fast schon Hoffnung. Bloß: Wie erklärst Du Deine These, dass so viele Frauen zufällig „keinen Bock“ auf Computer hätten? Das kann ja nichts zu tun haben mit Sozialisation in unserer Gesellschaft oder mit Strukturen im Bildungssystem. Oder damit, dass eine einmal erreichte geschlechtermäßig einseitige Zusammensetzung eines gesellschaftlichen Bereichs ausschließend auf Menschen wirkt, die da nicht reinpassen.

Du fragst, warum eine niedrige Frauenquote in IT-Berufen ein „Misserfolg“ ist? Hast Du das Wort „Symptom“ schon mal gehört? Interessant auch, dass Du in Initiativen, die Frauen und andere Nicht-Männer (X-Chromosomen interessieren nämlich auch keine Sau!) ins Programmieren einführen, gleich hineininterpretierst, sie hätten das Ziel die Frauenquote in der IT-Berufswelt zu revolutionieren. Da könntest Du Dich mal mit der Idee von Empowerment vertraut machen… Die Idee sollte Dir aus dem Zusammenhang freier Software eigentlich gar nicht so fern liegen – Dinge selbst machen können und so.

Drum merket: Wenn es den selbst gesteckten Zielen an Relevanz mangelt, büßen auch Erfolg und Misserfolg an Bedeutung ein. Liebe Girls- und Desktop-Missionare, senkt die Waffen und geht in eure Klöster zurück! Ist ja nicht so, als gäbe es dort nichts zu tun.

Ich darf explizieren: An den von Dir konstatierten 15 Prozent Frauen in IT-Berufen etwas verändern zu wollen, ist eh ein irrelevantes Ziel, deshalb ist es auch egal, wenn das nicht gelingt. Yo, Alter! Hier muss ich echt nicht ausholen, um zu erläutern, warum ich Dich einen Sexisten nenne.

Eine Frage hätt‘ ich noch: Welches ist denn Deiner Ansicht nach mein „Kloster“, in das Du mich „zurück“schicken möchtest und was soll ich da genau machen? Mein privates Netzwerk betreuen? Backup-Skripte für meinen Laptop schreiben? Kochen? Sonst noch was?

Silke Meyer

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