markt:regeln

Gestern war ich auf der Tagesveranstaltung von Heinrich-Böll-Stiftung und Bitkom netz:regeln. Auf  einer Veranstaltung, durch die ich im Vorfeld überhaupt nur durch einen peinlichen Faux-pas der Organisator(_inn?)en aufmerksam wurde [1].

Vom Panel mit dem Titel „Netzpolitik als Industriepolitik“ hatte ich zu viele Befürchtungen, als dass ich es mir als Start in den Samstag antat. Wenn ich so lese, wie Linus Neumann auf netzpolitik darüber schreibt, war das eine ganz gute Entscheidung [2].

Weshalb ich mich überhaupt nochmal hinsetze und was zu der Veranstaltung verewige, ist eine Präsentation, die mich nach Diskussion mit ihdl [3] und Schlafen noch immer beschäftigt: Jan Möller („von Hause aus“ Jurist) sprach über „Verfassungskonforme Technikgestaltung“. Das klingt schon kurios in meinen Ohren! Er meinte damit in etwa:

Drei Grundrechte sollen dadurch gewährleistet werden, dass bestimmte Einstellungen gleich in Software mit eingebaut werden, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme [4]. Jurist_innen und ITler_innen müssten sich besser  verständigen können, dann könnten sie gemeinsam die perfekten Dienste für Onlineshopping bauen. Die Vorteiler, wie ich sie von Jan Möller verstanden habe (zugegeben etwas polemisch zugespitzt):

  • Kund_innen müssten sich keinen Kopf über die Privacy-Einstellungen machen, sondern könnten einfach mal ihr Geld ausgeben.
  • Wenn über die Probleme einzelner Dienste im Bereich Sicherheit oder Privatsphäre jedes Mal eine öffentliche Debatte losgetreten wird, ist das a) ineffizient und b) schädlich für die armen Firmen, die doch einfach Geld verdienen wollen.

Nun auch noch meine Fragen und Gedanken:

  • Ich sehe das Problem mit Daten, Shoppen im Netz, Misstrauen, Überforderung etc. Mich stört aber am Grundton der vorgetragenen Idee Einiges.
  • Ich wünsche mir auch eine andere Herangehensweise als diese: Wenn „wir“ Menschen Technologien anbieten könnten, denen sie  – mit staatlicher Garantie – einfach vertrauen könnten, dann müssten sie sich nicht mehr so viele Fragen stellen oder mit so viel Nebensächlichem beschäftigen. Das riecht nach Technokratie.
  • Seit wann sind öffentliche Diskussionen nicht mehr wichtig? So bekloppt sie oft sind, sie sind Teil eines gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses. Der lässt sich m.E. nicht durch Technologien ersetzen. (Und ich habe kein Mitleid mit Firmen, die aufgrund verwerflicher Politiken gegenüber Kund_innen mal öffentlich besprochen werden, im Gegenteil.)
  • Wollen wir als Gesellschaft die Verantwortung für die Technologien, die wir entwickeln und/oder nutzen, an Jurist_innen und Informatiker_innen abgeben, die das Problem so einfach darstellen? (Und haben sich Sozialwissenschaftler_innen mit dieser Frage nicht schon ausgiebig beschäftigt?)
  • Wer sich auf’s Grundgesetz beruft: Da steht viel Zeugs drin, aber nicht, dass es sich um Kund_innenrechte handelt. Menschen sind nicht in erster Linie Kund_innen! Und: Werden die Diskrimierungen (Verbriefung von Rechten nur für Bürger_innen) auch in die Technologien eingebaut? Wenn das Netz schon als globaler Markt betrachtet wird, wat will mensch denn da mit nationalen Gesetzen?
  • Wie komme ich bei dem Begriff „verfassungskonforme Technikgestaltung“ eigentlich gleich auf die Idee, dass nicht nur mein Vertrauen in den „Markt Internet“ in Software programmiert werden könnte, sondern dass sich der Staat in „verfassungskonformer“ Software auch sonst noch irgendwie verewigen könnte? Ich bin paranoid, daran sind bestimmt wieder diese ewigen öffentlichen Diskussionen Schuld… 😉

[1] Siehe annalist als Gastbloggerin beim Missy Magazine: http://missy-magazine.de/2010/10/01/netzregeln-mit-regelschmerzen/

[2] http://www.netzpolitik.org/2010/bitkomboll-netzneutralitat/

[3] http://www.iheartdigitallife.de/

[4] Dazu hab ich ehrlich gesagt erstmal bei Wikipedia nachgelesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Grundrecht_auf_Gewährleistung_bla