Mit Geschlecht rechnen

Gestern abend war ich auf einer interessanten Podiumsdiskussion, die quasi die Abschlussveranstaltung eines einjährigen Projekttutoriums an der HU war. Sie hieß Mit Geschlecht rechnen – Ansätze einer feministischen Mathematikkritik. Auf dem Podium saßen nicht nur die sehr gut moderierenden Organisatorinnen, sondern auch die einzige Professorin für Mathematik und Gender Deutschlands, Andrea Blunck, eine weitere Teilnehmerin des PT und eine Doktorandin des Kollegs Geschlecht als Wissenskategorie, Daniela Döring, deren Dissprojekt ich mich hier jetzt nicht zusammenzufassen traue. Insgesamt haben die Anwesenden all solcher Veranstaltungen ja immer so verschiedene Interessen, dass klar ist, dass ein großer Teil des Abends damit verbracht wird, dass jedeR die Frage formuliert, die heute nun zu besprechen sei. Dabei fliegen Themen aus allen Richtungen: Wollen wir nun darüber sprechen, warum es so wenig Frauen in der Mathematik gibt? (Wie dort gesagt wurde, stimmt das für derzeitige Studierendenzahlen wohl gar nicht mehr.) Oder soll es darum gehen, wie unser dichotomes Denken den ganzes Abend in der Mann-Frau-Kategorisierung bleibt und ob das vielleicht ein Auswuchs mathematischer Denkstrukturen in unser ganzes Denken ist? Ich will jetzt natürlich nur meine kleinen Erleuchtungen wiedergeben, die ich mitgenommen habe:

  • Es wurde der spannende Gedanke geäußert, ein Abschaffen der Mathematik würde den Kapitalismus zu Fall bringen. Wow! Wie geht das? Ist die Mathematik abgeschafft, wenn an falsche Aussagen geglaubt wird? (Nein, das ist ja bereits der Fall, oder?) Ist sie abgeschafft, wenn es verschiedene richtige Lösungen zu 2+2 gibt, wenn also diese Verlässlichkeit wegfällt? Hm…
  • Sehr spannend für mich auch die Frage: Was wird von NichtmathematikerInnen der Mathematik alles zugeschrieben (eben Verlässlichkeit, Objektivität, Vergleichenwollen uvm.)? Und sehen MathematikerInnen das überhaupt genauso? Gut, dass einige da waren, um auch auf Klischees hinzuweisen. Eine sagte, dass Mathe interpretiert werden kann und muss. Sie erläuterte das in etwa so: 0,5+0,5=1. Aber: Wenn man zwei halbe Äpfel zusammenlegt, hat man eben nicht unbedingt einen Apfel.
  • Ich habe ein neues Unwort gelernt, dass so othernd ist, dass ich es nicht wiedergebe. Es bezeichnet nicht-westliche Mathematik und stellt gleichzeitig klar, dass die westliche Mathe die Norm ist – what a surprise.
  • Toll waren auch die kleinen Beispiele, die Andrea Blunck für die Umgangssprache vieler MathematikerInnen gebracht hat, weil ich dabei gleich auch an mein Beobachtungsfeld, Linux bzw. auch ein bisschen die Informatik, gedacht habe: Mathematische Strukturen oder Objekte werden in der Umgangssprache vermenschlicht, und zwar z.B. verheiratet oder vererbt. Da muss ich weiter drüber nachdenken. 😉
  • Was ich vielleicht sogar am interessantesten fand, war zu sehen, wie mühsam auf interdisziplinären Veranstaltungen nach einem gemeinsamen Verständnis des Gegenstands gesucht werden muss. Wie vermitteln KulturwissenschaftlerInnen MathematikerInnen, was Materialität ist und warum sie für bedeutsam gehalten wird? Hinterfragen sie daraufhin, mit was für abstrakten Konstrukten sie arbeiten? Und kommt ihr Punkt an, wie er gemeint war?

Nun, ja, soweit meine Gedanken… Vielen Dank an die VeranstalterInnen und das Podium!