Bauteile für Lego-Pinguin
Bausatz für den Lego-Pinguin

Letztes Wochenende war ich auf den Chemnitzer Linuxtagen, die wie immer eine sehr gute Veranstaltung waren. Zwischen all den Vorträgen und Gesprächen hatte ich auch einen kleinen Flashback in die Zeit, in der ich in erster Linie für teilnehmende Beobachtung auf Linux-Veranstaltungen fuhr. Auslöser: Der Lego-Tux! Ein Mini-Lego-Kit, aus dem man einen Pinguin zusammenbauen kann. Mein Gedanke: „Au Backe, in diesem Artefakt laufen alle Fäden zusammen!“ Ihr könnt jetzt fragen: „Hä, warum interpretierst Du in diesen völlig neutralen Pinguin denn jetzt dieses Genderzeug rein?“ Nun ja. Wie könnte ich nicht an Legos Produktpolitik denken? Wie soll ich Lego jemals „neutral“ sehen?

Erinnert Ihr Euch noch daran, wie wir uns vor ein paar Jahren über „Lego Friends“ aufgeregt haben? Das ist dieses rosa-lila Legospielzeug, auf dem explizit draufstand, dass es „nicht für Jungen“ war. Dieses Lego, das kaum noch an Selbstbauen erinnert, sondern an rosa-lila Einbauküchen. Wenn Ihr das nicht verfolgt hattet, dann empfehle ich Euch wärmstens folgende zwei Youtube-Videos von Anita Sarkeesian (2012):

  1. LEGO Friends – LEGO & Gender Part 1 (ca. 10 min.)
  2. The LEGO Boys Club – Lego & Gender Part 2 (ca. 13 min.)
Andere Gestalt aus den Lego-Teilen
Surveillance-Tux

Auf die Gefahr hin, dass Ihr das alle schon kennt, hier eine ganz kurze Zusammenfassung: Anita zeigt dort wie der Lego-Konzern über Spielzeug und Werbung traurig-absurde Klischees von Geschlechterrollen transportiert. In kurz: Lego kam als Produkt in den 1930er Jahren auf den Markt. Zwischen Mitte der 1950er und 1980er Jahre ging es in der Werbung um bauende Kinder oder Familien. Dabei wurde keine Geschlechtersegregation gezeigt („Damit spielt nur ein Geschlecht.“). Es wurde auch kein Spielthema so abgesteckt, dass man auf die Idee käme, dass es sich nicht an alle Kinder richten soll. Dann kamen die 1980er, mit Werbungen, in denen ausschließlich Kinder vorkamen, die man wohl als männlich lesen würde. Fokus in der Werbung zunächst auf dem kreativen Zusammenbauen, später vor allem auf Kriegsspielen und Ballerei. Anita stellt auch die Lego-Kollektionen vor, die immer mal „für Mädchen“ entworfen wurden. Hier war stets viel Rosa involviert, der Fokus lag nicht auf Selbstbauen, sondern auf dem Spiel mit fertig zusammengebauten Teilen in glücklichen Vorstadt-Settings mit Pool und Beauty-Salon. Eine Welt, so kritisiert Anita, die weder mit der sonstigen „normalen“ Lego-Welt für „Jungen“, noch mit dem realen Leben etwas zu tun haben. Und eine Konzernpolitik, die suggeriert, „Mädchen“ bauten nicht gerne kreativ drauf los, sie wollten mit lila Einbauküchen spielen und bräuchten dafür eine vorerzählte Freundinnen-Geschichte, an der sie sich orientieren können, falls ihnen der Plot fehlt.

Andere Lego-Kreatur aus den Teilen
Fledermaus-Tux

Letztes Jahr gab es dann noch die offenbar erfolgreiche, aber gleich wieder abgesetzte Idee mit den Lego-Wissenschaft-lerinnen. Heute (ja, 2015!) gibt es im Webshop den Navigationspunkt „Kategorien“. Man kann dort also sortieren nach sowas wie Eisenbahn, Fahrzeuge, Vorschulalter, Robotik, Minifiguren… und Mädchen. Mädchen ist die einzige Geschlechterrolle, die extra genannt wird. Dass manche Bausets mit „nicht für Jungen“ gekennzeichnet werden, ist der Grund, aus dem Anita sagt, dass das ganze andere Lego, dass keine extra Bezeichnung braucht, ausschließlich für Kinder gedacht ist, die sich als Jungen identifizieren (oder diese Zuschreibung bekommen). Junge sein bzw. Männlichkeit als unbenannter Standard, Abweichungen von der Norm stehen dran.

Zurück zum Lego-Tux: Was hat mich nun so daran beeindruckt, ihn auf der Veranstaltung zu sehen? Er ist ein Artefakt, in dem viel Bedeutung und Sozialisation(sgeschichte) stecken. Für mich wird jedes neue Lego-Angebot vor dem hässlichen Hintergrund von 30+ Jahren Konzernpolitik stehen. Klar, der Pinguin kam in einer Mini-Tüte, die nicht von Lego gebrandet ist. Es gibt keine Einbettung in Spielszenarien, keine Werbekinder – das ist gut so. Trotzdem wird sich mir nun für immer der Gedanke „für Jungen“ aufdrängen, da ja nicht dabeisteht, dass er für andere Geschlechter gedacht ist. Es wäre also eigentlich ein ganz cooler Zug, Schilder dranzumachen. „Für alle!“

Anderes Konstrukt aus den Bauteilen
Einsitzer-Tux

Aber wichtiger noch: Die Verbindung zu Computerkultur und freier Software. Die 13 Lego-Teilchen symbolisieren auf diesem Event die Kultur einer ganzen Szene.  Das Zerlegen in Einzelteile. Das Zusammenbauen neuer Computer aus Teilen anderer Rechner. Die Weiterverwendung von Codefragmenten für neue Software. Die Einladung, der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen. In einem der Werbeausschnitte von Lego sieht man Vater und Sohn gemeinsam ein Riesenhaus aus Lego bauen. Da sind dieselben „father-son internships“[1], die auch für die Initiation am Computer eine sehr wichtige Rolle spielen. Es beginnt zu Hause. An einem Ort, der der teilnehmenden Beobachtung eben nicht so einfach zugänglich ist. Nun war ich ja dort, um mir Git-, OpenLDAP- und Mailserver-Vorträge anzuhören. Aber da wäre sie gewesen: Die Gelegenheit, das Kinderprogramm „Elektronik-Basteln und Raspberry Pi“ mitzuverfolgen. Was wird da vermittelt? Wem? Wie wird der Nachwuchs gemacht?

Ja, so viel zum Lego-Tux, dem kleinen Kondensat von so vielem, was mich so lange beschäftigt hat und es offenbar auch immer tun wird.

P. S. Was sie bei Lego auch seit den 80ern nicht besser hinbekommen haben: Man kriegt die kongruenten Teile nur unter Zuhilfenahme der Zähne wieder auseinander.

[1] Jane Margolis /Allan Fisher: Unlocking the Clubhouse. Women in Computing, Cambridge/Mass., MIT Press 2002, S. 15-32