Der Kick

Um mal wieder vom Rezepteschreiben wegzukommen – ich hab einen ziemlich guten Film gesehen, „Der Kick“ von Andreas Veiel. Es geht um einen Mord in einem brandenburgischen Kaff, 2002, drei besoffene Rechte bringen einen „Kumpel“ brutal um. Stand ja in der Zeitung, der Bürgermeister kam mit seinem Ausspruch zu zweifelhafter Berühmtheit, das Opfer sei eben einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Alle sahen weg.

Der Film ist nun weder ein Spielfilm, noch eine Doku, sondern eine Theateradaption, die auf den ganzen gerichtlichen Protokollen basiert. Es spielen nur eine Schauspielerin und ein Schauspieler. Ort: Eine leere Halle, in der nur noch ein Bauwagen-Zeugenstand steht.

Die beiden spielen sich nach und nach durch alle Rollen hindurch: Von Opfer- und Täter-Angehörigen über Mörder bis hin zu Staatsanwalt und Pädagogen. Zu zweit. Geschlecht ist dabei egal. Susanne-Marie Wrage stellt die Jugendlichen im Verhör dar, mit ihrer Redeweise, ihrem mangelnden Selbstbewusstsein, ihren rassistischen Einstellungen, ihren unberührten Erzählungen von roher Gewalt. Wechselt unmittelbar von Sohn zu Mutter und zurück. Markus Lerch ist z.B. mal Mutter, mal Pädagoge, der im Mörder keinen Nazi entdecken konnte, mal Vater, der glaubt, seine Söhne zur Gewaltlosigkeit erzogen zu haben. Und von sich gibt: Ich habe ihm gesagt, dass jeder kein echter Nazi mit Glatze rumlief, alle hatten einen ordentlichen Haarschnitt…

Die Rollenwechsel sind nicht nur beeindruckend gut gespielt (vor allem die Darstellung der jungen Männer durch S-M Wrage!), so dass sie nach einer Weile erkennbar sind, ohne angesagt zu werden. Diese Wechsel haben auch zur Folge, dass das Publikum das Kino verlässt, ohne Gesichter zu den Beteiligten oder Orten im Kopf zu haben. Klar ist, so haben sie nicht ausgesehen. Festgehalten werden Typen, Rollen, (Erklärungs-)Muster. Die einzelnen Positionen (Staatsanwalt, Eltern, PädagogIn) sind dabei überhaupt nicht überraschend, sondern eher typisiert, fast konstruiert. Staatsanwalt: anklagend „wieso haben alle weggesehen? Liegt das am Alkohol oder an der Perspektivlosigkeit?“, Eltern ratlos-unberührt „wir haben nichts falsch gemacht“, Pädagoge blind-bloß nicht verurteilen wollend „das war ein ganz normaler Jugendlicher“, die anderen rassistisch. Überraschend gut ist aber der Effekt, den die Collage ergibt, das Aufzeigen: Es gibt keine Erklärung, nur eine diffuse Ansammlung von Eindrücken, die auch durch die Zeitungen geisterten: Alkohol, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, rassistische, Menschen verachtende Einstellungen in unterschiedlichem Maße und dabei der wabernde, gar nicht explizierte Eindruck, dass dies ein ostdeutsches Problem sei (Oder nehme nur ich das so wahr, dass das als deren Problem dargestellt wird, als Horror, der nur dort passieren kann?).

All die aufgeworfenen Fragen beantwortet der Film natürlich nicht. Will er auch nicht, kann er auch nicht. Ist aber sehr sehenswert!'